Das Wörtchen "doch"

und seine vergiftende Wirkung in Beziehungen

 

Neulich schickte ich einen neuen Text an einen Freund mit der Bitte um Rückmeldung.

Seine Mail-Antwort fiel knapp aus und lautete: "... ist doch gut geworden."

Das "gut" gefiel mir, das "doch" stieß mir auf.

Was sollte das?

Wollte er mir sagen, ich solle doch bitte nicht daran zweifeln, dass der Text gelungen sei?

War ich ihm bisher als zu selbstkritisch vorgekommen? Was nahm er sich heraus?

Wieso schrieb er nicht einfach: "... ist gut geworden."?

Ich war verwirrt – und ein bisschen verärgert.

 

Oder das Paar vor der Schlange der Supermarkt-Einkaufswagen. Der letzte Wagen klemmte, und obwohl der Mann sich mit dem Euro-Ersatz-Chip und der Kettenverbindung redlich Mühe gab, sagte die Frau "Mach doch mal! Die Leute warten doch schon."

Der Mann schwieg, nahm den Chip und versuchte es – erfolgreich – in der zweiten Schlange der Einkaufswagen nebenan. Als beide in den Laden gingen, schwieg er immer noch. Bloß nichts eskalieren ... Und ich dachte wieder über das "doch" nach.

 

Im Gebrauch dieses Wörtchens scheint nämlich etliches Schmerz- und Giftpotenzial zu liegen.

Erschreckt ein ungehaltenes "Pass doch auf!" den Fünfjährigen noch zusätzlich, wenn er den Becherinhalt über den Tisch verschüttet, verweist ein pubertär-genervtes "Jaa doch!" bereits auf eine höhere Eskalationsstufe, während das lapidar hingeworfene "Mach doch, was du willst ..." schon einer gefühlten Beziehungsaufkündigung gleichkommt.

Was machen die vier Buchstaben also in und mit Beziehungen?

Im Kern eröffnet ein "doch" offenbar das Gerangel um die Definitionsmacht und versucht es gleichzeitig in Sekundenschnelle zu entscheiden. Wer bestimmt die Bedeutung einer Situation? Wer setzt sich mit welcher Interpretation durch? Wer führt und hat "das letzte Wort"?

"Sag ich doch!" – "Das ist doch mal erfreulich!" – "Das stimmt doch gar nicht!" – "Doch!"

Nicht umsonst ist ein kindlich-trotziges "Doooch!" der (meist scheiternde) Versuch, sich einer vermeintlichen Bevormundung durch andere zu widersetzen, um zumindest auf gleicher Augenhöhe wahr- und ernst genommen zu werden.

Ganz schwierig wird es mit dem "doch" in der Formulierung von "gut gemeinten", aber viel zu schnell und unreflektiert ausgeteilten Rat-Schlägen: Was denkt (und fühlt) der Rat-Schlag-Empfänger, wenn er ein "Geh doch einfach mal schwimmen, das tut mir so gut!" hört, ein "Damit hättest du doch längst zum Arzt gehen müssen!" oder ein "Das ist doch im Grunde ganz einfach!"?

Die Verwendung des Wörtchens "doch" degradiert unmittelbar als unwissend, unklug und unfähig.

Es hinterlässt ein Gefühl von Unvermögen, Scham und macht die Verzagtheit keinen Deut leichter. Im Gegenteil!

Das unbewusst eingepflegte "doch" erhebt elegant in den Stand des/der Cleveren, Lebenstüchtigen und Erfolgreichen.

Wenn das bloß alles so einfach wäre ...! Aber man kann es ja mal versuchen ...

 

"Doch" ist offenbar ein "Pseudo-Macht-Booster", der geeignet scheint, Beziehungen hierarchisch zu gestalten, ohne dafür belangt werden zu können: "Das habe ich doch gar nicht so gemeint ..."

"Doch" tut so, als hätte der Empfänger (doch) selbst längst auf die Lösung kommen können/müssen. Ganz im Sinne des für mich stressigsten Killersatz: "Stell dich doch nicht so an. Das kann doch nicht so schwer sein!"

"Doch" wird dadurch – obwohl Leichtigkeit vorgaukelnd – selbst zum Stressor in Beziehungen.

Ein spitzer Giftpfeil, der – weil schnell abgefeuert und subkutan landend – schwer greifbar ist.

Er aktiviert Gegenwehrreflexe, ohne genau zu wissen, warum und wie der "Gegenschlag" erfolgen könnte. Denn dann müsste ja eine Beziehungsdiskussion auf der Meta-Ebene vom Zaun gebrochen werden. Und wann passt die schon? Vor allem, wenn der Chef gerade sagt: "Das hätte doch schon längst auf meinem Schreibtisch liegen sollen ..." oder die sechszehnjährige Tochter: "Chill doch mal ..." Na, super!

 

Ich plädiere für den aufmerksam-bedachten Umgang mit den tückischen "doch"-Formulierungen. Die Biester rutschen einfach so schnell "dazwischen".

Deshalb werde ich im Alltag weiter auf die Suche gehen nach brisanten "doch"-Pfeil-Formulierungen und mich bemühen, sie vor allem in Gesprächen mit meiner Frau – und in Beratungen – zu vermeiden.

Wäre doch gelacht

 

© Hartwig Hansen

Erschienen in der Zeitschrift Kontext  2/2017